Motion Bank – Tanz im Netzwerk
Motion Bank – Tanz im Netzwerk
Wenn man an Digitalisierung im Bereich Kulturerbe denkt, dann stellt man sich vor wie alte Bücher gescannt, Ausgrabungsstätten vermessen und Artefakte als 3D-Daten erfasst werden. Wie aber geht man mit den Formen um, die keine Objekte hinterlassen, den flüchtigen Künsten, dem immateriellen Kulturerbe? Seit 2010 erforscht ein Team, initiiert von der Frankfurter Forsythe Company, unter dem Namen Motion Bank daran anschließende Fragen zur Digitalisierung und Publikation von zeitgenössischem Tanz und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Dabei schlägt das Projekt einen Bogen zwischen Produktion und Archivierung. So ist es in Ausbildung und Studios aktiv, indem es Methoden und Software zur Erfassung von Prozessen entwickelt und zur Verfügung stellt. Die heutigen Tänzer/-innen und Choreographen/-innen sind das lebende Archiv unzähliger Tanztechniken und Stücke. Nur mit ihrer Hilfe kann Tanz in seiner Vielschichtigkeit erfasst werden. Durch sein kollaboratives Annotations-System namens „Piecemaker“ ermöglicht es Motion Bank parallel und demokratisch eine Vielzahl von Stimmen und Perspektiven einzufangen, Entstehungsprozesse zu betrachten und zu öffnen. Ein flexibles Annotations-Modell begünstigt dabei aus dem Prozess heraus zu arbeiten ohne a priori Kategorien oder andere Strukturen festlegen zu müssen. In Kooperationen mit Archiven und Wissenschaftlern werden zudem existierende Aufzeichnungen und Daten angereichert und in Relation zueinander gesetzt. Durch die Möglichkeit unterschiedlichste Materialien im eigenen Publikationssystem „MoSys“ zusammen zu führen, kann das Wissen aus der Arbeit im Studio genauso in archiviertes Material hineingetragen werden, wie die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit darin erhalten bleiben können. Gleiches gilt auch für die Spuren der Verwendung der Daten in den „Choreographic Coding Labs“ der Motion Bank. Dort lernen Künstler und Designer mit genügend Programmierkenntnissen choreographische Konzepte und Tanzwissen kennen und können auf Basis dessen mit den Daten experimentieren.
Zusammen mit zwei internationalen Partnern, dem „Centre for Dance Research“ (C-DaRe) der Coventry University und dem Motion.Lab der Deakin University in Melbourne, stellt sich Motion Bank an der Hochschule Mainz diesem Problem. Durch die Förderung der Aventis Foundation kann zwischen Sommer 2017 und 2018 ein Konzept für ein „Internationales Netzwerk für Tanz-Daten“ erarbeitet werden. Dieses soll in Folge als Basis für einen Antrag zur Umsetzung dienen. Das Konzept wird maßgeblich von Anton Koch aus dem Mainzer Team in Zusammenarbeit mit Kollegen an den jeweiligen Institutionen entwickelt. Ziel ist es existierende und zukünftig aufgezeichnete Daten jeglicher Art in standardisierten Formaten und mit Hilfe von niederschwelligen Werkzeugen zur Verfügung zu stellen. Geplant ist eine rhizome Netzwerkstruktur, wie z.B. die verteilte Datenbank des Bittorrent Netzwerks, in der Fragen von Qualität und Authentizität von eingebrachten Datenpaketen über die demokratische Mehrheit der beteiligten Institutionen entschieden wird, ähnlich wie bei der Krypto-Währung Bitcoin. Im Netzwerk, dessen technische Infrastruktur sich auf die vielen Beteiligten, anstatt auf einen zentralen Anbieter stützt, kann es wiederum völlig abgeschottete private Sub-Netze geben. Diese können in der Produktionsphase zunächst geschlossen genutzt und dann zu einem späteren Zeitpunkt selektiv geöffnet werden, um Daten dem gesamten Netzwerk freizugeben. Die existierenden Systeme der Motion Bank und ggf. weiterer Partner sollen zudem so angepasst werden, daß sie auf der Netzwerkstruktur aufbauen und allen Beteiligten zur Verfügung gestellt werden können.
Die Arbeit am „Internationalen Netzwerk Tanz-Daten“ beginnt mit der Studie artverwandter Netzwerke und Sammlungen wie dem französischen „Numeridanse“, der belgischen „Oral Site“ oder auch der Pina Bausch Foundation in Wuppertal. Parallel wird eine Analyse der eigenen Daten der Motion Bank durchgeführt und die eigenen Systeme vor dem Hintergrund des Netzwerk-Konzepts neu betrachtet und ggf. ausgerichtet. Fehlende Komponenten, wie bspw. eine allumfassende Benutzerverwaltung, müssen geplant und in das Gesamtbild eingepasst werden. Als Pionier-Knoten träten bei der späteren Umsetzung des Konzepts zuerst die drei Partner aus Coventry, Melbourne und Mainz in das Netzwerk ein. Zur Planung sind somit Besuche in Australien und England nötig um die dort lagernden Datensätze und die lokale Daten-Infrastruktur zu erfassen. Darüber hinaus sind bereits Gespräche mit weiteren möglichen Netzwerkpartnern in Vorbereitung.
Autor:
Florian Jenett ist Professor für Medieninformatik im Kommunikationsdesign des Fachbereichs Gestaltung an der Hochschule Mainz. Dort leitet er zusammen mit Scott deLahunta die Motion Bank.
Abbildung:
Experimente mit Tanz in einer Game Engine während des sechsten Choreographic Coding Lab, Los Angeles, 2015 © Florian Jenett / Motion Bank
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