Rhizom Filmgeschichte – Aufblende!
Rhizom Filmgeschichte – Aufblende!
Innovatives digitales Projekt zu Filmanfängen aus der gesamten deutschen Filmgeschichte ist gestartet.
„Es handelt sich [beim Filmanfang] um eine der komplexesten filmischen Formen. Man könnte versucht sein zu sagen: um eine der intelligentesten Formen, jedenfalls nicht selten denjenigen Teil eines Films, in dem am meisten passiert.“ Georg Stanitzek, inDas Buch zum Vorspann, Berlin 2006.
Das Wagnis des Anfangs: Es hat Filmschaffende seit jeher beschäftigt, herausgefordert, inspiriert, frustriert, gequält, begeistert. „Beginnings are always difficult“, heißt es selbstironisch zu Beginn des komödiantischen Meisterwerks TROUBLE IN PARADISE (1932) von Ernst Lubitsch. Dass es sich um einen der virtuosesten und lässigsten Anfänge der Filmgeschichte handelt, ist bezeichnend: Die ersten Minuten eines Films sind eine Einladung zu kreativem Spiel und formalem Experiment, sie wollen das Publikum einfangen und verführen. „Anfänge sind wunderbar, Mitten sind o.k., Enden sind schrecklich“, sinnierte auch Star-Regisseur Lars von Trier. Fangen wir also an.
Vor einigen Wochen hat unser Projekt RHIZOM FILMGESCHICHTE, das von der Kulturinitiative experimente#digital unterstützt wird, seinen Anfang genommen. Über die kommenden zwei Jahre hinweg werden wir eine sinnliche, intuitiv bedienbare Web-Umgebung schaffen, welche die ersten Minuten von mehr als 100 Werken der deutschen Filmgeschichte aus allen Epochen präsentiert, sie nach motivischen und stilistischen Ähnlichkeiten miteinander verknüpft und die Nutzer*innen einlädt, das so entstehende rhizomatische Knüpfwerk digital zu erkunden. Unser Ziel dabei: die Nutzer*innen zu überraschen und sie vertraut zu machen mit der künstlerischen Vielfalt des Films. Kuratierte Pfade und digitale Tools vermitteln zugleich Hintergründe zu den Stilmitteln und Erzählstrategien des Films – und zur Faszination des Filmanfangs als besondere filmische Form.
Zu den ersten Projektschritten im Mai und Juni 2018 gehörte die intensive Recherche nach innovativen digitalen Vorhaben in der Kulturvermittlung. Insbesondere von den Konferenzen „Activating the Archive“ des EYE Filmmuseums in Amsterdam sowie – bereits im vergangenen Jahr – „smARTplaces. Innovation in Culture“ des Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe haben wir wertvolle Impulse mitgenommen und Kontakte zu Künstler*innen, Programmierer*innen und Akteur*innen der Kulturvermittlung geknüpft. Auch mit Software-Entwicklern hat unser Team erste Gespräche geführt, ein neuartiges Filmannotationstool konnten wir bereits in einer Testumgebung ausprobieren.
Zentral für den Auftakt des Projekts war die konzeptionelle Arbeit mit den Studierenden des Masters „Filmkultur: Archivierung, Programmierung, Präsentation“, den das Deutsche Filminstitut gemeinsam mit der Frankfurter Goethe-Universität seit 2013 anbietet (www.master-filmkultur.de). Im Sinne einer kuratorischen Übung haben sich die Student*innen des aktuellen Jahrgangs in drei Workshops mit RHIZOM FILMGESCHICHTE befasst.
Zunächst wurden verschiedene bestehende digitale Bewegtbild-Tools sondiert, intensiv getestet und kritisch diskutiert. Zu den Fallbeispielen gehörten so unterschiedliche Angebote wie ein interaktives Online-Lernpaket zu den Filmen Friedrich Wilhelm Murnaus (https://murnau.neue-wege-des-lernens.de/murnau/), die für französische Schulen entwickelte Plattform NANOUK (https://nanouk-ec.com/) und das auf automatisierte Bewegtbildanalyse setzende Projekt iMediaCities, an dem neben weiteren europäischen Filmarchiven und Kinematheken auch das Deutsche Filminstitut beteiligt ist (http://imediacities.eu/).
Kuratorische Übung zu Filmanfängen und Digital Tools mit Studierenden des Masters „Filmkultur“ im Mai 2018 im Deutschen Filmmuseum. © Deutsches Filminstitut – DIF
Im zweiten Schritt setzten sich die Studierenden mit dem Filmanfang als filmische Form mit besonderen stilistischen und inhaltlichen Charakteristika auseinander: Wir haben eine Begriffsbestimmung vorgenommen (Filmanfang, Titel, Credits, Vorspann, générique, …), wissenschaftliche Ansätze zum Filmanfang diskutiert (filmhistorisch, texttheoretisch, dramaturgisch-narrativ, rezeptionsorientiert, …), die Elemente (Schrift, Musik, Bild, Ton, …) und Funktionen der ersten Filmminuten definiert (Anfangsmarkierung, Fokussierung, Markierung von Zeit und Ort, Einführung in eine Erzählung, Herstellung einer besonderen Stimmung oder Atmosphäre, Hinweise zum Genre, Informationen zu den an der Filmproduktion Beteiligten, Werbung, …). Schließlich haben die Student*innen verschiedene kuratorische, auf je einer digitalen Methode basierende Ansätze entworfen.
Kuratorische Übung zu Filmanfängen und Digital Tools mit Studierenden des Masters „Filmkultur“ im Mai 2018 im Deutschen Filmmuseum. © Deutsches Filminstitut – DIF
Die bereichernden Ideen der Studierenden, ihre Meinungen und die mit ihnen geführten Diskussionen werden in die weitere konzeptionelle Planung unseres Projekts einfließen. In den kommenden Monaten haben wir einiges vor: Wir werden zum einen an der technischen Grundlage des Projektes arbeiten, das in den folgenden zwei Jahren auf filmportal.de, der zentralen Internetplattform zum deutschen Film, Gestalt annehmen wird. Zum anderen werden wir jene Filmanfänge auswählen, die den Kern unserer Web-Umgebung bilden werden, sowie die Anforderungen an die digitalen Tools konkretisieren. Die gemeinsame Arbeit an RHIZOM FILMGESCHICHTE geht mit dem neuen Jahrgang des Masters „Filmkultur“ im Wintersemester weiter.
Die Autoren
Dr. Ines Bayer ist zuständig für die universitären Kooperationen des Deutschen Filminstituts und leitet vonseiten des Instituts den gemeinsam mit der Goethe-Universität Frankfurt angebotenen Masterstudiengang „Filmkultur: Archivierung, Programmierung, Präsentation“. Gemeinsam mit David Kleingers ist sie Projektleiterin von RHIZOM FILMGESCHICHTE.
Titelbild
Detailaufnahme eines klassischen Startbands, auch „Leader“ genannt, wie es sich üblicherweise am Anfang einer analogen Filmkopie für die Vorführung im Kino befindet. ©Carbon Arc, https://bit.ly/2ySGosa, lizenziert als Creative Commons unter CC BY-NC-SA 2.0
Hinterlassen Sie eine Antwort