Playable Städel – ein spielbares Städel oder ein Städel zum Spielen?
Seit fünf Jahren bietet das Städel Museum ein breites Spektrum an digitalen Angeboten, die ergänzend zum Museumsbesuch, unseren Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit gibt, sich tiefer mit den Inhalten der Sammlung und Sonderausstellungen auseinanderzusetzen. Sie sind Teil der Gesamtstrategie, der Digitalen Erweiterung des Städel Museums, die darauf abzielt, alle Bereiche des Museums digital zu transformieren. Ein Prozess, der 2015 begonnen wurde und dessen Aufgaben es sind die Digitalisierung für die Kernaufgaben des Museums — Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln — nutzbar zu machen.
In den vergangenen 5 Jahren haben wir am Städel Museum eine Bandbreite an digitalen Angeboten entwickelt: Mittlerweile gibt es keine große Ausstellung mehr ohne Digitorial® – ein multimedialer Onepager, der vor- oder nachbereitend die Inhalte der Ausstellung ansprechend erläutert. Die Digitale Sammlung umfasst über 25.000 umfangreich verschlagwortete Werke. 2013 sammelte das Städel die Stimmen von Gegenwartskünstlerinnen und Gegenwartskünstlern sowie deren Erinnerungen in einem vielstimmigen Oral-History-Projekt Café Deutschland(2018), oder lässt sie im Videoformat Kunst nach 1945 zu Wort kommen. Im Podcast FINDING VAN GOGH (2019), der anlässlich der Ausstellung MAKING VAN GOGH veröffentlicht worden ist, bietet das Städel anhand der Suche nach einem Kunstwerk viele spannende Hintergründe zu Mechanismen des Kunstmarkts, zur Institutionsgeschichte des Städel Museums und dem Mythos des Künstlers van Gogh. Das für Tablets entwickelte Game Imagoras (2015) bietet Kindern ab 8 Jahren einen spielerischen Zugang zur Sammlung. Auf der Basis der technischen Möglichkeiten, die die spezifischen Vorteile des digitalen Mediums ausschöpfen, wird so eine differenzierte Wissensvermittlung realisiert, die verstärkt auf interaktive, partizipative und erzählerische Elemente setzt. Das digitale Kunstvermittlungsprogramm deckt schon jetzt viele Bereiche ab, doch die Vielzahl an Möglichkeiten weckt neue Potenziale. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Städel Museums sind kontinuierlich dabei, neue Formate zu entwickeln und dabei auch neue Wege zu beschreiten. Einer davon ist das Projekt Playable Städel — ein Angebot, das die Kunstvermittlung im Museum mit den Chancen des digitalen Vermittelns zusammenbringt und die Expertise in der digitalen Kunstvermittlung im Museum zusammenbringt.
Chantal Eschenfelder, Leiterin der Abteilung Bildung- und Vermittlung, gehört zu den Wegbereiterinnen der Digitalen Erweiterung und arbeitet seit mehreren Jahren an der Entwicklung und Umsetzung digitaler Kunstvermittlungsangebote im Städel Museum. Sie weiß genau, warum Playable Städel eine wichtige Ergänzung für die bestehenden Angebote ist. Wir haben sie dazu befragt:
Das digitale Angebot des Städel Museums bekommt nun mit dem Game Playable Städel ein neues Format — das Stichwort lautet „Serious Gaming“ — was bedeutet das genau und wieso hat man sich für dieses Angebot entschieden?
Gaming diente lange zumeist der reinen Unterhaltung. Uns ist aber gerade die spielerische Vermittlung von Informationen und Bildungsinhalten wichtig – und dafür steht das sogenannte „Serious Gaming“: Der digitale und mediale Wandel hat nicht nur alle Lebensbereiche erfasst, sondern auch unsere Wahrnehmung von Bildern verändert. Viele unserer Besucherinnen und Besucher interessieren sich für kulturelle Inhalte und verfügen zugleich über eine langjährige Erfahrung mit unterschiedlichen Medien, etwa Video- und Computerspiele. Für dieses Publikum wollen wir im Museum eine digitale Anwendung zur Verfügung stellen, die den diversen medialen Gewohnheiten entspricht und die Auseinandersetzung mit Kunst fördert. Mithilfe von Gamification soll das Interesse an der Betrachtung vor den Originalen im Museum gefördert werden. Der Zugang zur Welt der Kunst sollte niedrigschwellig und emotionsbasiert eröffnet werden. Die Leitfrage etwa lautet „Was hat das Kunstwerk mit mir und meiner Lebensrealität zu tun?“. Dieser individuelle Zugang regt an, zu entdecken und miteinander über die Kunst in einen Dialog zu treten.
Nach der Idee folgt die Umsetzung: Wie entwickelt ein Museum ein solches Game?
In der Umsetzung digitaler Projekte haben wir rasch verstanden, dass wir neue interne Strukturen schaffen müssen, denn die etablierte, unterteilte Aufgabengliederung etwa in Bereiche Onlinekommunikation, Marketing, Bildung und Vermittlung oder IT funktioniert im Zusammenhang mit Innovation nur bedingt. Digitale Angebote benötigen eine Vielzahl von Kompetenzen, die keine Abteilung alleine abdecken kann und die erst durch Synergien entstehen. Stets geht es gleichzeitig nicht nur um konzeptuelle, inhaltliche und technische Fragen, sondern auch darum, dass Online-Angebote beispielsweise anders kommuniziert und beworben werden müssen als analoge Vermittlungsformate. Die vielleicht größten Herausforderungen auf technischer Ebene sind dabei das breite Spektrum der User-Endgeräte mit den nicht kalkulierbaren Softwareupdates. Ganz konkret haben wir zunächst ein interdisziplinäres, digitales Kernteam gegründet, das in Abstimmung mit der Leitung des Hauses eine Gesamtstrategie erarbeitet hat und bis heute die Konzeption und Umsetzung der einzelnen Projekte steuert. Für diese wiederum sind dann abteilungsübergreifend interdisziplinäre Arbeitsgruppen verantwortlich, die nach dem Vorbild agiler Projektsteuerungs- und Entwicklungsmethoden die Vorhaben realisieren. Außerdem haben wir mit Imagoras bereits ein Tablet-Game für Kinder entwickelt. Und auch wenn jedes neue digitale Produkt völlig eigene Anforderungen stellt, so können wir doch bereits auf die verschiedenen Erfahrungswerte zurückgreifen.
Was erwartet mich als Spielerin/Spieler bei Playable Städel im Museum?
Zunächst eine Webapplikation auf dem Smartphone, das die Spielerinnen und Spieler bei der Kunstbetrachtung begleitet. An einer Kioskstation erhalten sie eine Game-ID zum Start des Spieldurchlaufs. Anhand von Kunstwerken wählt die Spielerin/ der Spieler individuell entsprechende Themenwelten aus, die mithilfe hinterlegter Schlagworte generiert werden. Im Spielverlauf werden dann passende Werke zu den Themen gesucht, es wird recherchiert, Aufgaben müssen gelöst und verschiedene Fragen beantwortet werden. Dabei ist es gewünscht, dass mit Mitspielerinnen und Mitspielern agiert und diskutiert wird. Mittels einer Near Field Communication (NFC)-Karte können die Besucherinnen und Besucher ihr Spiel immer wieder mit dem Kiosk synchronisieren, ihren Spielfortschritt messen und weitere Spielaktivitäten auslösen. Ziel von Playable Städel ist es, ein tieferes Eintauchen in die künstlerisch behandelten Themen menschlicher Existenz zu ermöglichen, mit dem Ziel sich selbstbestimmt mit den Kunstwerken auseinandersetzen zu können.
Welche Voraussetzungen muss ich mitbringen als Besucherin/Besucher, um Playable Städel spielen zu können?
Die Lust am Entdecken! Und die Lust, sich mit sich selbst, mit der Kunst und anderen Menschen zu beschäftigen. Ganz konkret haben wir aber versucht, die Voraussetzungen für den Zugang möglichst niedrigschwellig zu halten: Die Besucherinnen und Besucher sollten im lesefähigen Alter sein und ein mobiles Endgerät besitzen. Playable Städel ist so konzipiert, dass es sich ganz individuell an die Spielerinnen und Spieler anpasst.
Wieso muss ich denn überhaupt ins Museum um Playable Städel zu spielen?
Die Konzeption und Umsetzung unserer Angebote vor dem Hintergrund unserer Digitalen Strategie folgt einer erweiterten User Journey. Das bedeutet, wir fragen uns welche Informationen die Besucherinnen und Besucher vor dem Museumsbesuch benötigen, welche Inhalte vor Ort und was sie noch zur Vertiefung im Anschluss interessieren könnte. In den vergangenen Jahren haben wir bereits eine Vielfalt an digitalen Angeboten entwickelt, die man vorwiegend zuhause oder unterwegs nutzen kann. Was bisher fehlt, ist ein digitales Vermittlungsformat, das ausschließlich im Museum genutzt werden kann – zur Auseinandersetzung mit den Originalen.
Die Begegnung mit originalen Museumsobjekten ist für viele Besucherinnen und Besucher bereits ein positives Erlebnis. Ihre Materialität, ungewöhnliche Ausdrucksform sowie die Wirkung der Objekte faszinieren das Publikum. Viele Werke entziehen sich aber dem Verständnis und wirken unzugänglich. Die Präsentation der Sammlungen nach kunsthistorischen Kriterien wie Chronologie oder Kunstlandschaften gibt eine gewisse Orientierung, resultiert aber vor allem aus einer fachlichen Perspektive. Häufig erschließt sie sich Laien nur vordergründig. Dass sich in Kunst nicht nur ästhetische Fragestellungen manifestieren, sondern alle Bereiche menschlicher Existenz und Erfahrungen, bleibt vielen Betrachterinnen und Betrachtern verborgen. Playable Städel soll hier eine Brücke schlagen zwischen den Kunstobjekten und den individuellen Lebenserfahrungen des Publikums.
Ist ein Game nicht eher was für junge Menschen?
Das ist eine weitverbreitete Annahme, die aber so nicht stimmt. Tatsächlich spielt jede oder jeder zweite Deutsche Computerspiele. Das sind insgesamt 34,3 Millionen Menschen. Darunter ist die Gruppe der über 50-jährigen die größte. In den letzten Jahren ist das Durchschnittsalter der Spielerinnen und Spieler stetig gestiegen und liegt derzeit bei 36,4 Jahren. Auch die Verteilung der Geschlechter ist interessant: 48% Frauen und 52% Männer. Nicht zuletzt deshalb ist die Game-Branche innerhalb der Kultur- und Kreativwirtschaft ein Wachstumssektor. Die Zahlen zeigen, wie weit verbreitet die Nutzung von Computerspielen ist. Daher sollten auch Kulturinstitutionen spielorientierte digitale Formate entwickeln, die den medialen Erfahrungen und Gewohnheiten der Nutzerinnen und Nutzer ebenso entsprechen wie den zu vermittelnden Inhalten.
Ein spannendes Projekt — wie lange wird es noch dauern bis ich Playable Städel ausprobieren kann?
Wir gehen aktuell von einem Launch im Jahr 2021 aus.
Was ist die größte Herausforderung bei der Entwicklung eines Games für ein Museum?
Bei der Entwicklung eines spielerischen digitalen Vermittlungsformates wird das Zusammentreffen verschiedener Expertisen benötigt: die des ansprechenden Spieldesigns, die technische Implementierung im Museumsraum und die Kompetenz in digitaler Kunstvermittlung. Einerseits wollen wir ein Game entwickeln, das anderen spielerischen Anwendungen in nichts nachsteht – andererseits ist die Vermittlung von kulturellen Inhalten unsere Kernaufgabe. Das Abwägen zwischen beiden Belangen fällt nicht immer leicht. Für die Umsetzung arbeiten wir mit der Agentur NOLGONG zusammen — ein südkoreanischer Gameentwickler, der bereits viel Expertise in der Entwicklung von Gameformaten für den Kulturbereich hat. Das Zusammentreffen dieser unterschiedlichen Kompetenzen in Gestalt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Städel und NOLOGONG ist ein spannender, interkultureller Austausch, bei dem es immer wieder darum geht, aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven und Herangehensweisen eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Corona und die Beschränkung auf Zoom-Konferenzen machen das derzeit noch interessanter.
Welche Erwartungen haben Sie an das neue digitale Vermittlungsformat Playable Städel?
Beim Spielen können die Nutzerinnen und Nutzer Bezüge zwischen Kunst und anderen Kontexten wie Geschichte, Politik, Naturwissenschaft, Technik etc. entdecken. Damit lassen sich auch neue Zielgruppen erschließen. Die Inhalte des Spiels bilden dabei eine Ausgangsbasis für zentrale gesellschaftliche Fragen. Unabhängig vom kulturellen Erfahrungshorizont der Besucherinnen und Besucher wird über einen emotionalen Bezug zu den einzelnen Themen, ein individueller Zugang zur Kunst und Kultur eröffnet. Methodisch spiegelt dieses Angebot den rasanten Digitalisierungsprozess im Bildungsbereich wider. Inzwischen ist bekannt, dass spielerische Elemente die Erfolge in der Wissensvermittlung enorm steigern. Damit sollen auch übergeordnete didaktische Ziele wie das Offenlegen künstlerischer Bildstrategien und die Förderung der „Visual Literacy“, also die visuelle Lesefähigkeit, erreicht werden – eine Kernkompetenz in unserer medial geprägten und mit Bildern durchfluteten Welt.
Autorin:
Die Fragen stellte Franziska von Plocki, Pressereferentin des Städel Museums und der Liebieghaus Skulpturensammlung sowie Teil der Arbeitsgruppe zu Playable Städel
Titelbild:
Mit „Playable Städel“ entsteht ein Game zur Sammlungsvermittlung im Städel Museum
Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz
Hinterlassen Sie eine Antwort