Auf der Suche nach dem Übertier
Mitte Juli wurde in der Naxoshalle mit einem ersten „Showing“ der Arbeitsstand zur Theater-Performance „Hard Feelings“ präsentiert. Die Premiere der Neuproduktion des studioNAXOS, die sich mit dem Verhältnis von Mensch, Tier und Maschine auseinandersetzt, wird voraussichtlich Mitte Oktober stattfinden:
Ein Gorilla sitzt auf einem Felsen. Eine Performerin spricht über Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“. Ein Laser-Beamer projiziert ein Bild auf eine Hologramm-Gaze. Drei verschiedene Vorgänge, die doch einer sind. Wie lässt sich die Erscheinung, die so entsteht, fassen? Natürlich handelt es sich nicht um einen echten Gorilla. Es ist aber auch nicht kein Gorilla, man kann ihn (oder sie?) kaum so betrachten, als wäre dort kein Gorilla – obwohl man weiß, dass dort eben kein Gorilla ist. Ähnlich verhält es sich mit der Performerin: sie ist da und doch nicht da. Sie spricht in einer ungezwungenen Weise, erzählt Anekdoten, teils aus ihrem Leben, teils erfunden, so genau lässt sich das vielleicht nicht sagen, und man kann nicht anders, als in der eigenen Fantasie eine Person zusammenzusetzen. Eine Person, die sich hinter dem synthetischen Bild des Gorillas verbirgt und doch momentweise realer und präsenter als dieser wird. Die technologische Seite des Ganzen lässt sich vielleicht am wenigsten greifen und tritt gerade dadurch am deutlichsten hervor. Während man sich bei dem Gorilla und der Performerin jeweils kurz der Illusion hingeben kann, man würde sie unverstellt sehen, ist der Blick auf die Technik immer indirekt. Und auch wenn wir mit der Zeit immer geübter darin geworden sind, technologische Vermitteltheit im Alltag zu übersehen, starrt man doch unentwegt auf die Technik hin, sieht bei allem, das es zu sehen gibt, immer auch die technische Möglichkeit des Gesehenen.
Hard Feeling, Tryout © Christian Schuller
Soweit die grundsätzlichen Zutaten. Doch die Frage, wie das alles zusammenkommt, und wie man mit Mensch ± Tier ± Technik im Detail umgehen kann und will, ist damit natürlich noch kaum berührt, geschweige denn beantwortet. Im Probenprozess haben sich einige Aspekte herauskristallisiert, die dieses Dreierverhältnis bestimmen werden.
Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“ baut auf ein doppeltes Darstellungsverhältnis auf: ein menschlicher Schauspieler imitiert einen Affen, der menschliches Verhalten imitiert. Der animierte 3D-Affe verschiebt die Frage der Darstellung in besonderer Weise. Affenartige Bewegungen auf einen äffischen Avatar übertragen ergeben einfach das Video eines Affen. Als weitaus interessanter erwies sich, die kleinen alltäglichen Bewegungen, die unterschwellig eine menschliche Person konstituieren, im Körper des Gorillas sichtbar zu machen. Das Wesen, das einem so gegenübersitzt, ist viel spannender, weil es sich weder auf sein Menschlich-Sein noch auf sein Tier-Sein reduzieren lässt. In ähnlicher Weise kann man feststellen: weniger ist mehr. Nicht die Präsentation der maximalen technischen Möglichkeiten fasziniert, sondern eine Erscheinung, die eher wenig Spektakuläres tut und dabei in ihrer Potentialität viel lebendiger wird.
Hard Feeling, Tryout © Christian Schuller
Neben dem 3D-Körper des Affen war und ist die Materialität seiner Stimme zentral. Wie klingt die Stimme und worüber spricht sie? Zu der digitalen Künstlichkeit des Körpers hat sich eine digital verfremdete Stimme gesellt, die einerseits dem massigen Affenkörper näher ist, aber doch unverkennbar die individuelle Intonation der Performerin Judith Altmeyer transportiert.
Auf der inhaltlichen Ebene hat sich ebenso ein Text entwickelt. Ein Affe, der sprechen gelernt hat, spricht in einer Art szenischen Lesung Auszüge aus Kafkas Bericht, unterhält sich zwischen den Abschnitten wie ein Late-Night-Entertainer mit seinem Side-Kick, dem Musiker und erzählt Anekdoten aus seinem Leben. Es hat sich gezeigt, dass die Tendenz, in der Wahrnehmung aus heterogenen Bestandteilen ein Ganzes zusammenzufügen, noch stärker ist, als wir vermutet haben. Auch aus teils widersprüchlichen Textteilen, die mal mehr mal weniger nahelegen, dass der Affe eigentlich kein Affe sein kann, sondern eben doch eine menschliche Performerin ist, setzt sich ein Wesen zusammen, über dessen Menschlichkeit man sich nicht so sicher ist, das aber so evident erscheint, dass es nie in seine bloßen Bestandteile zerfällt.
Hard Feeling, Tryout © Christian Schuller
Autor:
Philipp Scholtysik arbeitet als Dramaturg, Performer und Regisseur. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Regensburg und Berlin und Dramaturgie in Frankfurt. Gegenwärtig arbeitet er an einem längerfristigen interdisziplinären Rechercheprojekt zur Frage, unter welchen Umständen ein internationaler Generalstreik spekulativ denkbar wäre und wie er vielleicht verlaufen würde.
Titelbild:
Hard Feeling, Tryout © Christian Schuller
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