SELFPORTRAIT :: GIACOMETTI
Kein realer Blick – trotzdem eine Begegnung?
Ein Raum, eine Puppe, eine Kamera und die Begegnung mit sich selbst. Seit Anfang März proben wir an unserer analog-virtuellen Installation »SELFPORTRAIT :: GIACOMETTI«. Sie ist für jeweils eine Einzelperson konzipiert und spielt mit der Situation zwischen dem Künstler Alberto Giacometti und einem seiner Lieblingsmodelle, der Prostituierten Caroline.
Zu Beginn der Installation finden sich die Zuschauenden in einem Raum einer Puppe mit einer 360-Grad-Kamera als Kopf gegenüber. Diese Puppe ist Caroline und die Zuschauenden nehmen den Platz von Alberto Giacometti ein, dem sie Modell sitzt. Wir kreieren eine Situation, in der der Blick aufeinander eine besondere Rolle spielt. Doch zunächst gibt es nur den Blick der Zuschauenden auf die Puppe und keinen Blick, der die Zuschauenden trifft. Deshalb gilt es für uns in den Proben herauszufinden, welcher Ton und welche Ansprache nötig ist, um die Zuschauenden in die Illusion zu führen, dass die gegenüber sitzende Puppe tatsächlich Caroline ist. Und was es braucht, um Reaktionen hervorzurufen. Die Schauspielerin Sophie Hutter spricht über ein Mikroport-System direkt auf die Kopfhörer der Zuschauenden, die sie während dessen über eine Überwachungskamera beobachten kann. Die Zuschauenden blicken dabei die ganze Zeit auf die 360-Grad-Kamera, die als Kopf auf der Puppe sitzt. Die vorderen zwei Kameralinsen der Kamera entwickeln sich bei andauernder Betrachtung zu Augen und die Puppe erwacht scheinbar zum Leben.
Dramaturgin Juliane Hendes sitzt vor der Puppe und hört ihr zu © Raum+Zeit
Eine erste Selbstbegegnung
Die Puppe ist eine Sonderanfertigung. Aus Einzelteilen von Schaufensterpuppen und den Entwürfen der Kostümbildnerin Justina Klimczyk ist eine lebensgroße Puppe entstanden. Als Kopf dient die 360-Grad-Kamera, die den ersten Teil filmt. Setzen die Zuschauenden im zweiten Teil die VR-Brille auf, bekommen sie das Gefilmte zu sehen und ergo sich selbst, wie sie in den Raum kommen und sich dann selbst betrachten: eine erste Selbstbegegnung. Während das Gefilmte abläuft spricht Sophie Hutter live den Text des zweiten Teils. Dieser wirft Fragen nach dem wahren Selbst und der Essenz des eigenen Wesens auf. Nach Abbildern und Wahrheiten. Die Stimme von Sophie Hutter als Caroline wird zu Giacomettis Stimme, wird zur Stimme der Zuschauenden, die ein Bild von sich betrachten und sich damit selbst ausgeliefert sind.
Kostümskizzen von Justina Klimczyk für die Figur der Arbeit an der Puppe © Raum+Zeit
„Caroline“, Alberto Giacomettis letztem Modell © Raum+Zeit
Ein echtes Bild – die Wirklichkeit
Im dritten Teil begegnen die Zuschauenden dann der realen Schauspielerin Sophie Hutter als Caroline und sehen, wie diese mit den folgenden Zuschauenden das eben Erlebte wiederholt. Nichts ist so wie es schien. Was ist die Wahrheit? Wer ist Caroline? Und wer ist man selbst? Nun sind die Zuschauenden mit echten Blicken konfrontiert. Sophie Hutter als Caroline beobachtet, nimmt wahr, provoziert und bedient damit die Sehnsucht nach einer Begegnung mit einer realen Person und die Sehnsucht danach gesehen zu werden. Der dritte und vierte Teil des Textes sind vermeintliche Wiederholungen des bereits Gehörten, doch durch die direkte Ansprache und Konfrontation mit der Figur Caroline, mit einer echten Person, die wie eben die Zuschauenden, mit dem eigenen Selbstbild, mit dem Bild das andere von ihr haben und mit dem der Zuschauenden hadert entsteht eine Dynamik des Sehen-und-Gesehen-werdens, das in der finalen Begegnung mit einer anderen Person und sich selbst mündet. Wer bist du und wer bin ich? Was ist die Wirklichkeit? Und doch, bleibt auch das nur ein Abbild. So wie Giacometti der Maler, sein Modell Caroline wirklich sehen wollte und doch immer nur ein Abbild von ihr schaffen konnte. Die wahren Menschen kriegt nicht mal der Mensch selbst zu fassen.
Autorin:
Juliane Hendes, Dramaturgin der Produktion
Titelbild:
Die Grundsituation, ein leerer Stuhl auf dem der/die Besucher*in sitzen wird vor der Puppe, ist das erste Mal angedeutet aufgebaut © Raum+Zeit
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