Hard Feelings – Turn, turn, turn
Seitdem wir im Juli unseren Arbeitsstand coronabedingt in einem vorläufigen Showing gezeigt haben, ist viel Zeit vergangen. Zeit, die uns Gelegenheit gab, mit mehr Abstand zu reflektieren: was wollten wir machen, was hat geklappt, in welche Richtung können und wollen wir das Ganze noch treiben? Alle Bestandteile lagen bereit, aber zusammen waren sie immer noch nicht mehr als das: Bestandteile. Die Summe aller Teile war nur die Summe aller Teile. Warum?
Wer unsere Arbeit in den letzten Jahren verfolgt hat, wird über das jetzige Vorhaben einigermaßen erstaunt gewesen sein. Nach vielen Stücken, die den Text aus seiner hegemonialen Position als zentraler Dreh- und Angelpunkt einer Inszenierung verdrängen, die Text statt als zu inszenierende Grundlage als ein theatrales Mittel neben anderen benutzen, jetzt plötzlich eine Kafka-Inszenierung? Wir hatten nie vor, Kafkas Ein Bericht an eine Akademie zu inszenieren. Nicht in der Weise, hier ist der Text, und hier ist die Inszenierung als Lesart dieses Textes, eine Inszenierung die ihren Sinn durch die Referenz auf diesen Text als Literatur gewinnt. Stattdessen wollten wir Kafkas Bericht auch als Material behandeln, als ein Mittel neben anderen. Aber was heißt das konkret?
In unserem Probenprozess kamen wir immer wieder an den Punkt: Aber warum inszenieren wir dann nicht einfach Kafka? Was wollen wir dem Original hinzufügen und warum? Schließlich wurde klar: solange es ein Original gibt, entkommen wir dem Literaturtheater nicht. Erst wenn wir eine wirklich andere Perspektive auf Kafkas Text anbieten, die ihn aus dem Status des Originals aufhebt, können wir so frei damit umgehen, wie wir wollen und können insbesondere weiteres Material, das wir im Prozess gefunden und entwickelt haben, so einweben, dass es nicht nur zu einem drangeklebten Anhängsel wird.
Hard Feelings, aus den Proben © Jacob Engel
Wir drehen die gesamte Bühne um. Das Publikum wird aus der Backstage-Perspektive einer Inszenierung von Kafkas Ein Bericht an eine Akademie beiwohnen. Es wird so immer den projizierten Affen-Avatar und die Performerin Judith Altmeyer, die den Avatar steuert und so den Affen spielt, sehen. Vorn auf der Bühne, wo kein echtes Publikum ist, wird eine Inszenierung von Kafka ablaufen, die das echte Publikum hinter der Bühne nur in Spuren erleben kann, vor allem als Audio-Hörspiel inkl. des fiktiven Publikums, das die Kafka-Inszenierung besucht. Und neben der Kafka-Inszenierung wird sich auf der Hinterbühne eine zusätzliche Narration entspinnen zwischen den Akteuren, die die Kafka-Inszenierung spielen.
Diese radikale Entscheidung setzt die verschiedenen Bestandteile endlich in ein Verhältnis, das uns erlaubt an dem zu arbeiten, das uns eigentlich interessiert. Kafkas Text ist für uns eine wichtige Quelle und ein wesentlicher Strang, der sich durch Hard Feelings ziehen wird, man kann ihn aber jetzt aus einem besonderen Winkel betrachten. Anstatt die Avatar-Technik zur bloßen Idee einer Kafka-Umsetzung zu machen, die sich dann darüber legitimiert, möglichst nahtlos und elegant aufzugehen, entwerfen wir jetzt ein Gefüge, in dem die technische Umsetzung auch um ihrer selbst willen von Interesse ist, in dem nicht nur die erstaunliche Leistungsfähigkeit des Bewegungstrackings, sondern auch die Limitierungen, die es auch gibt, zum Gegenstand der Betrachtung werden.
Hard Feelings, aus den Proben © Jacob Engel
Die Premiere von „Hard Feelings (Ein Bericht für eine Akademie)“ findet am 15.10.20 im studioNAXOS in Frankfurt statt, weitere Aufführungen folgen vom 16.-18.10.20 ebenda sowie am 23.10. im Ringlokschuppen Ruhr. Tickets sind erhältlich via www.studionaxos.de/programm bzw. www.ringlokschuppen.ruhr.
Autor:
Philipp Scholtysik arbeitet als Dramaturg, Performer und Regisseur. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Regensburg und Berlin und Dramaturgie in Frankfurt. Gegenwärtig arbeitet er an einem längerfristigen interdisziplinären Rechercheprojekt zur Frage, unter welchen Umständen ein internationaler Generalstreik spekulativ denkbar wäre und wie er vielleicht verlaufen würde.
Titelbild:
Hard Feelings, aus dem Preview © Jacob Engel
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