Hard Feelings – Der Anzug wird abgelegt
Die Premiere und die drei weiteren Vorstellungen von “Hard Feelings (Ein Bericht für eine Akademie)” (15.-18.10.) im studioNAXOS in Frankfurt waren ausverkauft und ein voller Erfolg. Der technische Aufwand der Inszenierung war beachtlich und umso erfreulicher war es, dass wir ohne technische Probleme durch die Vorstellungen gekommen sind. Auch die coronabedingten Veränderungen im Aufführungsbetrieb konnten wir erfolgreich umsetzen. Dank der Größe der Naxoshalle fanden – mit Abständen – etwa neunzig Personen pro Vorstellung ihren Platz.
Unsere Entscheidung, nach dem Showing im Juli die gesamte Bühne umzudrehen (siehe Blogeintrag vom 6. Oktober 2020 / Hard Feelings – Turn, turn, turn) stellte sich als überaus produktiv heraus. Hierdurch konnten wir dem Kafka-Text eine eigenständige Dramaturgie hinzufügen, ohne den Originaltext verbiegen zu müssen.
J.P. Stange, Hard Feelings © Christian Schuller
Wie das Innere eines Schiffes beobachtet man die Hinterbühne einer Aufführung von Kafkas “Ein Bericht für eine Akademie”. Zwei Statisten warten auf ihren Auftritt, sie ziehen sich um und bauen neue Kulissen auf.
Die Betriebsamkeit der Theatermaschinerie verweist auf die “Gemachtheit” von Theater und Kultur im Allgemeinen. Auf der anderen Seite sitzt ein anderes, fiktives Publikum, welches man nicht sieht, aber hört. Ein Publikum, das es so momentan nicht gibt; eng beieinander sitzend, gemeinsam schweigend, gemeinsam lachend. Ein Publikum wie ein einzelner Körper. Ein Geister-Publikum, aus einer anderen Zeit vor der Pandemie. Diesem imaginierten Publikum wird Kafkas “Ein Bericht für eine Akademie” vorgespielt, flankiert von Gesang von dem unter der Decke hängenden Musiker und illustriert von den zwei Statisten in den Rollen der Zoologen, Matrosen, Geschäftsmänner und Akrobaten.
Aber hinter der Bühne bleiben die Statisten nicht stumm. Ihre Unterhaltung kann man als Übertitel verfolgen. Sätze wie “Illusion muss immer gut vorbereitet sein.” oder “Wie bist du eigentlich zum Theater gekommen?” bilden den schlichten, aber prägnanten Dialog der zwei Theaterarbeiter und reflektieren subtil die Illusionsmaschine Theater.
J.P. Stange, Hard Feelings © Christian Schuller
Und über all dem thront der Affe. Kafkas Rotpeter erscheint als Hologramm über der rückseitigen Kulisse und berichtete von seinem Weg hin zum Theater. Er, anders als die zwei Statisten, ist nicht freiwillig zum Theater gekommen. Er suchte nur einen Ausweg aus der Gefangenschaft im Käfig. In der zivilisierten Welt merkte er schnell, dass er alles daran setzen musste, auf die Bühne und nicht in den Zoo zu kommen wie seine Artgenossen. Also wurde er ein Mensch. Er lernte es “Mensch zu sein”, um nicht sein Leben in Gefangenschaft zu verbringen.
J.P. Stange, Hard Feelings © Christian Schuller
Auf der Bühne sieht man wie der Hologramm-Affe zum “Menschen” gemacht wird. Die Performerin Judith Altmeyer sitzt unterhalb des Affen und spielt ihn. Mit Hilfe eines Motion-Capture-Anzugs und eines Stimmeffekts kann sie den Affen wie eine Puppe bewegen und zum Sprechen bringen. Am Ende zieht sie den Anzug aus und der Affe fällt in sich zusammen wie ein aufgeblasenes Maskottchen, aus dem die Luft ausgelassen wird.
“Was bleibt, ist der entmenschte Daten-Affe Rotpeter: ein virtuelles Bündel nachbebenden Seelenfleisches.” schreibt Marcus Hladek in der Frankfurter Rundschau vom 16.10.2020. “Eine Form der Aufkündigung letzter Grade der Figuren-Illusion, wie man sie kaum je gesehen haben wird: höchst eindrucksvoll in Zeiten, da sich der Mensch im Licht seiner Entdeckungen von der Künstlichen Intelligenz zur CRISPR-Genmaschine ohnedies ganz klein zusammenzukauern neigt.”
Autor:
Philipp Scholtysik arbeitet als Dramaturg, Performer und Regisseur. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Regensburg und Berlin und Dramaturgie in Frankfurt. Gegenwärtig arbeitet er an einem längerfristigen interdisziplinären Rechercheprojekt zur Frage, unter welchen Umständen ein internationaler Generalstreik spekulativ denkbar wäre und wie er vielleicht verlaufen würde.
Titelbild:
J.P. Stange, Hard Feelings © Christian Schuller
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